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Germany

Bodenhaftung von Führungskräften

Hintergrund

Fester Boden unter den Füßen

von Jürgen C. Neumann

Die Bedeutung großer Talente auf den wichtigen Positionen ist unumstritten. Wenn aber die Neubesetzung auf dem Chefsessel sich als Sonnenkönig entpuppt, kann auch ein großes Talent eher schaden als nützen. Was kann ein Unternehmen für die richtige Bodenhaftung seiner Führungskräfte tun?

Im ersten Teil unserer Analyse behandeln wir das Thema aus Sicht des Aufsichtsrates. In der nächsten Ausgabe des Praesta Newsletters betrachten wir es aus der Perspektive der Unternehmensführung.

Teil 1: Steigende Anforderungen an die Aufsicht

Vor einigen Jahren führte mich meine Tätigkeit ins Gespräch mit einem erfolgreichen Vorstandsvorsitzenden einer der großen deutschen Aktiengesellschaften. Ich fragte ihn, wie er Chef des Unternehmens geworden sei, und seine Antwort war verblüffend einfach: „Ich habe immer für den besten Mann gearbeitet.“

Es war die Zeit einer großen Kontinuität auf den Führungsetagen und vielfach auch erfolgreicher Stabübergabe bei einem Personenwechsel. Die heutige Situation ist vielfach anders:

Fokus auf die Spitze: Das Aktienrecht von 1965 brach endgültig mit der Führung durch einen Generaldirektor; dieser wurde durch das Vorstandsteam ersetzt. Aber der moderne Vorstandsvorsitzende wird schon wieder aus dem Team herausgehoben: Öffentlichkeit und Kapitalmarkt erwarten für das Unternehmen ein Gesicht — die Verkörperung in einer Person.

Mangelnde Kontinuität: Die Verweilzeit auf den Top-Etagen hat sich drastisch verkürzt. Führungswechsel werden immer schneller vollzogen 1, 2.

Loyalität vor Qualität: In der ersten Vertragsperiode suchen sich Chefs vor allem loyale Mitarbeiter. Erst später, in gesicherter Position, öffnet sich ihr Blick für außergewöhnliche Talente.

Die Kombination dieser Trends birgt Risiken für die Unternehmen. Die Anforderungen an die Aufsichtsgremien bei der Auswahl des Chefs und der kritischen Beobachtung seines Führungsverhaltens steigen. Der Erfolg einer Neubesetzung lässt sich nur schwer vorhersagen: Top-Manager, die andernorts exzellente Leistungen erbracht haben, sind im neuen Umfeld oft eine Enttäuschung. Andere erweisen sich als Glückstreffer, obwohl auf ihre Ernennung ein zurückhaltendes bis kritisches Presse-Echo folgte.

Signale beachten

Ein Beispiel: Ein neuer „Spitzenmann“ tritt an, um für „frischen Wind zu sorgen“. Er unternimmt die nötigen Schritte, um sich in seinem Umfeld abzusichern, holt Rat ein von den erfahrenen Mitgliedern der Führungsmannschaft. Er bemüht sich um Akzeptanz für seine Entscheidungen. Kurz, er etabliert eine Kultur des offenen Dialogs und der Fairness, die im Unternehmen gemeinschaftlich gelebt wird und auch schwierige Zeiten überdauert. Das Unternehmen nimmt wieder Fahrt auf, die Stimmung ist gut.

Der sichtbare Erfolg aber trübt den kritischen Blick unseres „Spitzenmannes“. Der Chef neigt dazu, Erfolge weniger auf gemeinschaftliche Leistungen zurückzuführen als vielmehr auf sein „Genie“. Diese Neigung wächst, wenn der Chef auch noch durch eine Auszeichnung, z.B. „Manager des Jahres“, in dem Glauben an seine Genialität bestärkt wird 3. Er verliert die Bodenhaftung. Er distanziert sich von seiner Umgebung, holt weniger Rat ein. Die Offenheit zum Dialog wird ersetzt durch Anweisungen. Auch Personalfragen werden nicht mehr fair und für alle nachvollziehbar behandelt. Obwohl das Unternehmen wirtschaftlich gut dasteht, ist die Stimmung schlecht. Das Risiko von Misserfolgen wächst.

Zwei Forschungsarbeiten behandeln diesen Realitätsverlust des Chefs 4, 5. Sie machen auf Signale aufmerksam, die ein Aufsichtsrat beachten sollte:

Ein INSEAD-Team hat die Veränderung im Führungsverhalten von Napoleon untersucht und zieht Vergleiche zum modernen Management. Verhält sich Napoleon anfangs noch wie ein neuer Unternehmenschef, pflegt einen offenen Dialog und wirbt in seiner Umgebung um Unterstützung, so zeigt er nach dem Erfolg bei Austerlitz als Kaiser wachsende Züge der Selbstüberschätzung und gleichzeitig einer Geringschätzung seiner Generale und Mannschaften. Er begründet seine Maßnahmen nicht mehr, er befiehlt. Das Schicksal beginnt sich zu wenden.

Ein Team der Berkeley-Universität hat das Verhalten der Chefs von 2.300 börsennotierten US-Unternehmen innerhalb der Jahre 1985 bis 2002 untersucht. Anhand von Insiderkäufen vor Akquisitionen lässt sich nachweisen, wie die Chefs nach ersten Erfolgen immer zuversichtlicher werden und weitere Akquisitionen mit steigendem Risiko durchführen. Im unerschütterlichen Glauben an ihren Erfolg kaufen sie vor den Deals auch immer mehr Aktien auf eigene Rechnung. Dann kommen die Misserfolge. Das Nachsehen haben die Aktionäre.

Kontrollen und Hilfen

Auch ohne operativ einzugreifen, kann der Aufsichtsrat die Bedingungen schaffen, um riskante Entgleisungen zu verhindern:

Unternehmenskultur:
Beste Voraussetzung für die Bodenhaftung ist die Kultur des Hauses: Ein starker Chef führt und er ist eingebunden in eine breite, partnerschaftlich arbeitende Mannschaft. Die Führungskultur ist geprägt von Integrität, persönlicher Offenheit, Vertrauen, mutigem Unternehmertum und Durchlässigkeit der gesamten Struktur für Informationen und Karrieren. 6

Nachfolgeplanung und Auswahl:
Die Kultur des Hauses muss vom Mann an der Spitze eingeführt, gelebt und ständig abgesichert werden. Hier kann die Bedeutung des Chefs nicht überschätzt werden; wichtig ist aber auch die Unterstützung durch den Aufsichtsrat. Für die Auswahl des Nachfolgers empfiehlt sich ein „Goldfischteich“ mit Aufstiegskandidaten, die zu dieser Kultur passen, und ein Netzwerk für neue Talente im Unternehmensumfeld.

Für die Kandidatur zur Nachfolge genügen nicht die fachlichen Qualifikationen. Die Persönlichkeit des Chefs und seine Begeisterung für Produkte und Märkte des Unternehmens müssen sich optimal verbinden. Ein Vegetarier kann nicht das „Gesicht“ einer Fleischfabrik sein.

Bei erfolgreicher Nachfolgeplanung stehen mehrere interne Kandidaten zur Verfügung. Das beste Auswahlverfahren ist ein interner Wettbewerb, wie ihn Jack Welch für General Electric gezeigt hat. 7

Mentoring und Coaching:
Allerdings kann ein Top-Manager nicht im „risikofreien Raum“ geformt werden; er muss lernen, Risiken abzuwägen und unter Druck zu handeln. Coaching ist dabei ein wichtiges Instrument — nicht erst für begleitendes Krisenmanagement. Bereits im Vorfeld können Persönlichkeitsmerkmale und Verhaltensmuster der Top-Kandidaten erfasst, trainiert und mit dem Anforderungsprofil der neuen Aufgabe verglichen werden. So lassen sich für erkennbare Risiken geeignete Hilfen vorbereiten.

Der Übergang in die Rolle an der Spitze muss abgesichert werden. Eine Rolle, in der in umfassender Weise das Unternehmen als Ganzes vertreten werden muss und die eine stark integrierende Persönlichkeit verlangt — die den mitunter widersprüchlichen Erwartungen der Stakeholder begegnet. An der Spitze gelten neue (Macht-)Spielregeln, die nur eine durchsetzungsstarke Persönlichkeit überlebt.

Große Führungstalente sind für Unternehmen ein unschätzbares Kapital. Mit Coaching können sie geweckt und in ihrem Potenzial gesteigert werden durch Hilfe zur Selbstreflexion und durch zielgerichtete Weiterentwicklung ihrer Führungskompetenz. Dies um so mehr mit einem Coach, der die entsprechende Führungserfahrung aus dem eigenen Berufsleben hat.


Literatur:

(1) Manager-Magazin 10/2007, Seite 43, „Sag zum Abschied leise Servus“

(2) Handelsblatt, 21.09.2007, „Die Halbwertzeit der Vorstandschefs sinkt rapide“

(3) Handelsblatt, 04.08.2008, „Todeskuss für jeden CEO“

(4) Financial Times, Dec 6, 2002, „Part Six — General Failings“

(5) WamS, 27.07.2008, Seite 26, „Wenn der Chef berühmt wird, leidet die Firma“

(6) L. Bryan & C. Joyce, „Mobilizing Minds“, McGraw-Hill

(7) Jack Welch, „Was zählt“, Econ-Verlag

Newsletter, 11.2008


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